Naturpark Puez Geisler: Die Grödener Dolomiten Durchschreitung

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Kurz nach dem Sonnenaufgang: Plattkofel und Langkofel

Kurz nach dem Sonnenaufgang: Plattkofel und Langkofel

Wandern im Naturpark Puez Geisler: Über die Sass Rigais zum Grödener Joch

Bergwanderung und Klettersteigtour im Naturpark Puez Geisler

Der Wecker klingelt um sechs Uhr. Das Hotel Adler liegt genau gegenüber der Seilbahn zur Seisler Alm. Ein Blick aus dem Fenster, und die Sonne geht gerade erst am Langkoffel und am Sellastock, den ich vom meinem Balkon aus sehen kann, auf. König Laurin hat genau diese Stunde nicht verwünschen können, die Zeit zwischen Nacht- und Sonnenaufgang. So liegt er da, der Rosengarten, gefärbt in das malerische rot, für das er so bekannt ist. Es muss also einen guten Grund geben, warum mitten in der „Nacht“ das Handy piept. Und den gibt es. Am Vorabend haben wir uns für eine kurze Besprechung in der Hotellobby getroffen. Thaddäus, Wanderführer und „Spiritus Rektor“ hinter der Tour und Lukas, örtlicher Bergführer aus der Bergschule Catores. Die Sache war die: Neben den täglichen Touren, die das Hotel anbietet, stand für den morgigen Tag sozusagen der „Dolomiten-Hero“ des Jahres an. Thaddäus und Lucas, beide geboren in St. Ulrich und bildlich gesprochen auf den Korallenriffen der Dolomiten aufgewachsen, kennen jeden Stein und Wegbiegung in den Grödener Dolomiten. Den Gästen, die in das Vallunga Tal, die Seiser Alm oder den Sellastock und durch die gesamte Region geführt werden, wird morgen das „Grande Finale“ geboten. Besteigung des Sass Regais und die „Überschreitung“ bis zum Grödener Joch mit Sonnenuntergang auf dem Sas Ciampac.

Insgesamt 12 Stunden Fußmarsch stehen auf dem Tourenplan. Selbst für trainierte Beine kein Pappenstiel. Aber der Gedanke an bestes Wetter, Sonne und den letzten Sommertag im Kalender 2013 beflügeln insgesamt 12 Wanderer, die allesamt Stammgäste des Hauses sind. Sonst ist hier jeder eingeladen und wird animiert, die Gipfel und Panoramen des Val Gardenas mit Thaddäus zu entdecken – bei dieser Tour gab es schon die ein oder andere Empfehlung vorab. Gut, dass er die Gäste über Jahre kennt und damit deren „Schmerzgrenzen“, die es bei dem gut 2.000 Meter Aufstieg geben wird.

Thaddäus und die 12 Apostel – Wandern im Naturpark Puez Geisler

Abfahrt ist um 7.45 Uhr. Ich schlendere genau 1 Minute vorher in die Lobby und treffe auf die 11 „Gleichgesinnten“ für den Tag. Die Mischung macht es, und so nehmen im hauseigenen „Wanderbus“ neben ein paar Deutschen auch Italiener und ein Isländer Platz. Neben Thaddäus und Lucas ist noch Flavio, Chef der Bergschule Catores, mit an Bord. Ausreden gibt es also keine. Wir erreichen nach 10 Minuten Fahrt die Talstation Col Raiser in Wolkenstein. Generalstabsmässig geplant startet nach bereits 3 Minuten die Sonderfahrt zum Rifugio Col Raiser auf 2.107 Meter. Der angenehmste Teil des Tages, soviel ist sicher. Die Sonne ist bereits aufgegangen und hat um 8.30 Uhr schon eine beeindruckte Kraft für diese Jahreszeit.

Der gesamte Naturpark Puez-Geisler spannt sich mit seinen Gipfeln vor uns im Morgenlicht auf. Lang- und Plattkofel, Seiser Alm, Schlern. Wie im Western bei High Noon ziehen alle gleichzeitig – die Kameras. Minutenlang bewegt sich erst mal gar nichts außer den SD-Karten in den Fotoapparaten. Thaddäus und die beiden Bergführer mahnen zum Aufbruch – ein Schema, was wir nun in den nächsten 12 Stunden bis zum Grödener Joch immer wieder erleben dürfen. Zügig gehen wir den leichten Aufstieg in Richtung Geisler Gruppe an. Vor uns bauen sich die Türme der Furcheta und des Sass Rigais auf, etwas westlich die der Fermeda. Die Stimmung könnte besser nicht sein – im Winter sagt man „Ski und Rodeln gut“, die Alliteration für den Sommer kenne ich nicht, aber den Tag dafür. Heute. Perfektes Wetter für eine ausgedehnte Bergtour – Störungen sind nicht vorhergesagt und zu erwarten.

Geisler Gruppe

Thaddäus (links) auf der Sass Regais

Reinhold Messners erster Berg: Sass Rigais

Wir nehmen Kurs auf 2B. Das ist der Wanderweg der die Felstürme quert. Der Aufstieg ist auf zwei Varianten möglich, wir nehmen die östliche über die Wasserscharte, zu der man gut 300 Meter auf einen Sattel aufsteigen muss. Der erste Anstieg zieht das „Peleton“ schon etwas auseinander. Gibt es etwas unter den Bergführern zu besprechen, findet das in kurzen, ladinischen Sätzen statt. Absolut abhörsicher. Der Sattel gibt auch den Blick auf die Alpen frei. Sie sind bei der Sicht alle da: Wilde Kreutzspitze, Möseler, Löffler, weiter hinten Großer Venediger und in einer Wolkenfahne, der bedeckte Großglockner. Sattel heißt hier auch aufsatteln für den Klettersteig. Für einige die erste alpine Ferrata. Die Gruppen teil sich ein wenig auf, einige nimmt Flavio ans kurze Seil, der Rest schmeißt sich euphorisch in den Zustieg, der nach wenigen Höhenmetern an den ersten Eisentritten endet. Wir machen uns ans Werk. Tritt für Tritt und Haken für Haken geht es hinauf. Thaddäus turnt zwischen zwei Gruppen hin und her und drückt den Auslöser seiner Lumix wund. Da er die besten Stellen kennt, ein gern in Anspruch genommener Service. Ich gehe gerne Klettersteige, aber in den Dolomiten haben sie immer noch eine besondere Bedeutung und Anmutung. Ursprung war ein militärischer, so auch bei diesem. Was sich heute so leicht besteigen lässt, war vor rund hundert Jahren blutiger Ernst.

Nach gut 45 Minuten ist die Vorhut oben angekommen. Ein einzelner Wanderer, der es sich am Gipfelkreuz bequem gemacht hatte, ist schnell verschreckt von dem Trubel den wir entfachen. Die Bergführer erklären jede Spitze und das unter uns liegende Villnösstal. Die Kameras klicken und zwischendurch werden die ersten Rationen aus den Lunchpaketen des Hotels bereits in Angriff genommen. Ich hatte mich auf ein Mini-Baguette beschränkt, das ich zu dem Zeitpunkt noch im Fach „Eiserne Reserve“ belassen wollte. Gut das Thaddäus aus seinem 30 Liter Tagesrucksack circa 35 Kilo Früchte- und Nussmischungen hervorzauberte. Nach und nach trafen die anderen Grüppchen ein. Ein ladinischer Wortschwall später und der Plan war folgender: Die Gruppe wurde aufgeteilt in die „hat Potential zum Durchbruch“ und die „wird erst weiter unten entschieden“.

Ich wurde der ersten zugeteilt und eine getrocknete Banane von Thaddäus später begannen wir den Abstieg. Unterwegs konnte ich Lucas meine Nikon Kamera in die Hand drücken. Scheinbar traf hier Technik auf Passion, er knipste fortan aus allen Lagen und Perspektiven. Ach ja, wie ich beim Absteigen erfuhr, war das Sass Regais Reinhold Messners erster Berg, den er bestiegen hat. Da war er fünf Jahre alt!

Grödener Dolomiten

Grödener Dolomiten – auf dem Weg zu Puez-Hütte

Die Tour der Leiden – Wandern im Naturpark Puez Geisler

Sammelplatz für unsere Gruppe war die Wiese unterhalb der Sass Rigais. Irgendwie hatte ich schon wieder getrocknete Früchte von Thaddäus in der Hand, und die eineinhalb Liter Trinkwasser mussten immer wieder herhalten, um die trockenen Haselnüsschen herunter zu spülen. Wir machten uns auf den Weg – „2“ war von nun an weiter der Kurs in Richtung Puez-Hütte. Lucas ließ sich mit einem Gast etwas zurückfallen, beim Blick zurück konnte ich aber beruhigt feststellen, dass er sich immer wieder ins Gras warf oder Steinblöcke erklomm, um seine Fotosafari mit meiner Kamera fortzusetzen.

„A man, a mission“ dachte ich, und konnte mich so auf den Aufstieg konzentrieren. Die Stimmung war gut, zumindest äußerlich. Diverse Diskussionen entstanden, wie viel Höhenmeter wir schon hatten und wie lang denn nun die Strecke war. Je nach Messung und Handy variierte dies, auffällig war, das von den Bergführern stets ein beschwichtigendes „so viel glaub ich nicht“ oder „so weit ist es auch nicht mehr“ kam. Eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche – von einem Bergführer wird man in einem solchen Fall nie die Wahrheit erfahren. Warum auch. Demotivation und Gedankenspiele, wie weit wohl die Füße noch tragen werden, wären die unerlässliche Folge. Genau diese Gedanken setzen aber auf dem Sattel der Furcela Forces de Sieles ein. Der Anstieg war ein „Zieher“ und im oberen Teil einigermaßen ruppig, so dass wir uns in kurzen Serpentinen hinaufschlängelten. Aus den 12 wurden 5, Daniela war mit Lucas etwas zurück. Als wir den Sattel erreichten eröffnete sich ein unbeschreibliches Panorama über den gesamten Sellastock. Linker Hand konnte man das gesamte Vallunga einsehen, weitere Bergspitzen ohne Namen bauten sich links wie rechts auf. Nur eines nicht. Die Puez Hütte. Hunger kam sowieso nicht auf, Thaddäus hatte schon wieder ein Riesenbeutel Trockenobst geöffnet. Ich nahm dankbar mehrere Hände voll und musste entsprechen „gut nachspülen“. Gut 20 Minuten später kam mein „Kameramann“ auf der Passhöhe an. Leider hatte sich Daniela eine Entzündung am Knie zugezogen, ladinischer Beschluss war es aber, sich bis zur Puez Hütte durchzuschlagen und dann zu entscheiden, wie und ob wir weiter gehen.

Die Puez Hütte in den Grödener Dolomiten

Die Puez Hütte in den Grödener Dolomiten

Die Hütte, die nie kam – Wandern im Naturpark Puez Geisler

Die Pause hatte allen sichtlich gut getan. Mit gutem Tempo machten wir uns nun mit Lucas in der Führung auf den Weg zur Raststation. Zur Puez Hütte, das konnte ich aus dem Augenwinkel noch auf einem der Hinweisschilder ablesen, waren es noch gut 2 Stunden Fußmarsch auf dem östlichen Hochrücken des Vallunga. Von Lucas lernte ich ein wenig mehr über die Entstehungsgeschichte der Dolomiten: Schlern-Dolomiten, der älteste Teil dieses Gebirges, wie wir ihn gegenüber beim unteren Teil des Sellastocks gut sehen konnten, darüber lockerer, mehr geschichteter Dolomit oberhalb, wie der Aufbau auf dem Sellastock, und viel jünger, die Vulkangipfel, die in der Kreidezeit entstanden. Dank der Gespräche verging die Zeit gut und Zeit und Zeitgefühl sagten mir, dass sie nun eigentlich am Horizont auftauchen müsste, die Peuz Hütte. Aber es tauchten ständig neue Steine und Formationen auf, die wir zügig in kleinen Ab- und Gegenanstiegen hinter uns ließen. Dank der Haselnüsse von Thaddäus war mein Wasser zu Ende gegangen. Da wir den ganzen Tag in der Sonne liefen flimmerte vor meinen Augen optisch schon die ein oder andere Pfütze, die beim näher kommen aber wieder zerplatzte. Quasi wie aus dem Nichts tauchte sie dann auf, zuerst sah ich nur die alte Hütte mit verrammelten Fenstern, doch eh innere Panik ausbrach, ob hier schon jemand den Schlüssel von Außen abgezogen hatte, tauchte sie auf. Terrasse, Menschen – ein Hüttenhund!

Die Wirtin hatte mit dem späten Überfall um 17.00 Uhr auf ihre Zapfhähne nicht mehr gerechnet. Mehre Liter Schorle und Spezi wechselten die Thekenseite. Die Pause tat in vieler Hinsicht gut. Sitzen, trinken – und eine Karte an der Wand, die den weiteren Streckenverlauf gut einsehbar machte. Nach Einsicht der Schlussetappe bestellte ich mir lieber eine weitere Spezi.

Aufstieg in der Abenddämmerung zum Sas Ciampac

Aufstieg in der Abenddämmerung zum Sas Ciampac

The last men standing – Wandern im Naturpark Peuz Geisler

Als Daniela gut 20 Minuten später durch die Hüttentour kam, war schon ein dicker Verband am Knie zu sehen. Es war klar, dass hier für sie Schluss war. Der weitere Plan war, das Thaddäus sich mit Daniela auf den Abstieg durch die Vallunga machte und die letzten fünf Mohikaner sich mit Lucas in der Führung in Richtung Gipfel des Sas Ciampac (2.672 m) aufmachte. Dank der Spezi und der Zuckerzufuhr setze bei der Gruppe eine Art „Turbo-Prop“-Effekt ein. Wir stürmten voran, so lange der Zucker hielt. Lucas schien zufrieden und etwas überrascht. Durch das deutsch-isländische Marschtempo hatten wir Zeit gut gemacht. Ziel war es, beim Sonnenuntergang auf dem Sas Ciampac auf über 2.600 Metern zu stehen. Am Fuße des letzten Anstiegs war er dann weg, der Zucker. Was da war, waren schon gut 1.700 Höhemeter und gefühlte 25 Kilometer in den Beinen. Und nun rächte sich auch, das Thaddäus die Bananen und Nüsschen mit ins Tal genommen hatte. Ich nahm den letzten Schluck Wasser und wartete auf eine Zündung, die aber ausblieb. Schritttempo und Motivation der Gruppe war identisch: positiv. Jetzt hier rauf und für die Mühen mit einem Sonnenuntergang in den Dolomiten belohnt werden. Gut 45 Minuten später erreichten wir einen Felsvorsprung, der die Blicke in das Gadatal freigaben. Irgendwie gewann ich den Eindruck, dass wir die halbe Dolomiten durchschritten hatten. Zumindest konnten wir das dritte Tal an diesem Tag gut einsehen. Den Col di Pana und den Passo Valparola hatte ich vor drei Wochen bewandert und befahren. Von oben hatte man einen fantastischen Blick auf die in der Abenddämmerung liegenden Dolomiten. Gut 10 Minuten später standen wir auf dem Gipfel. Timing ist alles und Lucas war sichtlich zufrieden, dass wir noch Zeit für eine kleine Rast hatten, bevor sich die Sonne ganz hinter dem Ortlergebirge absenkte.

Wer schon mal einen Sonnenuntergang in den Alpen erleben durfte, der weiß, dass man diesen Moment schwer beschreiben kann. In dem Film „Das beste kommt zum Schluss“ fasst es Morgan Freeman ganz gut zusammen. „Etwas majestätisches“ erleben – und genau das ist dieser Moment. Ein oranger Feuerball verabschiedet sich hinter einer großartigen Kulisse. Wir hatten es geschafft. Und ich glaube, ein wenig stolz war jeder, sich bis hierhin durchgequält zu haben. Nur schade, dass der, dem wir geistig diesen Moment zu verdanken hatte, nicht hier war. Danke Thaddäus – auch ohne das du in dem Moment bei uns warst, war deine Choreographie und der 5. Akt mit Sonnenuntergang das Finale, das du dir für deine Gäste gewünscht hast!

Sonnenuntergang in den Dolomiten

Sonnenuntergang in den Dolomiten

Epilog – Wandern im Naturpark Puez Geisler

Der Abstieg verlief auf einem Grat entlang, bis wir im Büchsenlicht an einer Wegekreuzung die Beschilderung hinab zum Grödener Joch fanden. Ab nun setzten wir die Stirnlampen auf und machten uns auf die letzte Etappe hinab. Noch ein Gegenanstieg und wir sahen die Gaststätte direkt am Pass aus der Ferne. 12 Stunden und 2.000 Höhenmeter später machte es dann doch noch mal zack. Im Dunkeln übersah ich ein Sumpfgebiet und bin ungebremst bis zur Wade im Torf hängen geblieben. Drei Minuten später erreichen wir unseren Wanderbus.

Müde, kaputt, aber glücklich ließ ich mich in den Sitz des Buses fallen. Es war tief dunkel als wir uns vom Grödener Joch auf den Rückweg nach St. Ulrich machten. Im Lichtschein eines entgegenkommenden Autos nahm ich das Ausmaß der Verschmutzung meines Schlammschuhs in Augenschein. Ich bückte mich etwas herunter, und musste feststellen, dass mein rechter Hanwag-Schuh den ganzen Sumpf trocken gelegt haben musste. Beim Bücken fiel mir etwas aus meiner Brusttasche und landete direkt neben dem Bergschuh auf dem Mittelgang. Ein kleines Stück trockene Banane. Ich hob es auf. Auch wenn es Thaddäus nicht mit auf den letzten Gipfel geschafft hat, haben wir ihn symbolisch dabei gehabt. Ich steckte das getrocknete Bananenstück wieder in die Brusttasche und nahm mir vor, es in mein Gipfelbuch für 2013 ein zukleben. Danke Thäddaus, Lucas und Flavio!

Bergschule Catores St. Ulrich

Hotel Adler Resorts St. Ulrich

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5 Kommentare

    • Hallo Gerhard, dann habe ich das Gesicht dazu. Vielen Dank, freue mich und im nächsten Jahr dann hoffentlich wieder. Einfach nochmal die Tage vorbeischauen, zur Fünffingerspitze gibt es auch noch etwas. LG, Felix

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